Darmstädter Echo 13. November 2010
KPRd Präventionskonferenz 2010 Jugend und Alkohol zwischen Kompetenz und Koma Artikel
Jugend und Alkohol war Thema der Präventionskonferenz und wird eine Kampagne im kommenden Jahr, für die die Stadt Netzwerkpartner aus allen gesellschaftlichen Ecken sucht. Alkoholexzesse unter Jugendlichen, wie sie diese Szene nachstellt, sollen damit zurückgehen. Die Kinderkliniken zählten in diesem Jahr bereits 70 Jugendliche, die wegen Alkoholmissbrauchs behandelt werden mussten. ArchivFoto: Roman Grösser

In Darmstadt soll ab kommendem Jahr bei Volksfest-Eröffnungen durch die Stadt auf den Jugendschutz beim Umgang mit Alkohol hingewiesen und für Veranstaltungen mit einem hohen Jugendanteil begleitende Teams gebildet werden. Zudem will man mit Einzelhandel und Gastronomie entsprechende Selbstverpflichtungen vereinbaren, die durch ein Logo, Plakat oder Buttons sichtbar werden. Das und weitere Maßnahmen sieht die Kampagne »Jugend und Alkohol« vor, unter deren Motto die Präventionskonferenz am Donnerstagabend in der Orangerie stand.

Von einem »sehr ambitionierten Plan« sprach Sozialdezernent Jochen Partsch, der das Konzept vorstellte. Es gehe nicht darum, eine missionarische Anti-Alkohol-Kampagne zu starten, sondern Kindern und Jugendlichen zu helfen, gesund und verantwortlich mit diesem Genussmittel umzugehen. »54 Prozent der Zwölf- bis Siebzehnjährigen leben absolut abstinent«, betonte er. Doch er verwies auch auf jugendliche Besäufnisse. »Und wir haben es mit einem starken Gegner zu tun.« 1,2 Milliarden Euro pro Jahr würden in Deutschland in Alkoholwerbung gesteckt.
Preisträger
Im Rahmen der Konferenz wurde zum siebten Mal der Präventionspreis des Fördervereins Prävention verliehen. Den ersten und mit 1500 Euro dotierten Preis erhielt das Projekt »Capoeira goes Kranichstein«, Platz zwei und 1000 Euro nahm der Groß-Zimmerner Jugendpfleger Tom Hicking für zwei Suchtpräventionsprojekte an der Albert-Schweitzer-Schule entgegen, den dritten Preis und somit 500 Euro erhielt das Projekt »Mediencoaching à la carte – Top(f)fitte Kinder gestalten eine Kochsendung« des Aktivspielplatzes Herrngarten und des Kinderhauses Paradies.

Der Hauptreferent des Abend indes nahm da eine zurückgelehnte Haltung ein: »Nachhaltige Prävention braucht Augenmaß und gesunden Menschenverstand«, befand der Historiker Hasso Spode in seinem Vortrag über Alkoholprävention im historischen Vergleich. Es sei schon bemerkenswert: »Wir trinken immer weniger, aber machen uns immer mehr Sorgen.« Offenbar lebten wir derzeit in einer »asketischen Besorgnis-Gesellschaft«.

In seinem Abriss über die Entwicklung von schwankendem Pro-Kopf-Verbrauch, diversen Trinkkulturen und wiederkehrenden Abstinenzbewegungen wurde eins überdeutlich: Getrunken wurde schon immer. »Eine Alkoholkontrollpolitik ist unabdingbar«, räumte der Professor einerseits ein. Doch sei es absurd, die Deutungshoheit denen zu überlassen, die besonders abstinent leben. »Wir haben keine Belege für eine reale Zunahme exzessiven Trinkens bei Jugendlichen«, gab er zu bedenken. Vielmehr habe sich das Anzeigeverhalten geändert.

Doch es gab auch besorgtere Stimmen auf der Präventionskonferenz. »Wir haben in den letzten Jahren zunehmend mehr Kinder mit Alkoholkonsum bekommen – wie andere Städte auch«, berichtete der Psychologe Norbert Kohl von den Kinderkliniken Prinzessin Margaret in der von ECHO-Redakteurin Birgit Femppel moderierten Diskussion mit diversen Kooperationspartnern kommunaler Prävention. Hätten sie 2004 noch 24 Fälle gezählt, seien bis Ende Oktober für dieses Jahr 70 zu verzeichnen gewesen. Im Moment sei das die häufigste Diagnose auf ihrer Station.

»Wir verkaufen Spaß, Gemütlichkeit und Genuss«, stellte Wolfgang Koehler als Vertreter der örtlichen Brauereien klar, »sind aber gleichzeitig gegen übermäßigen Alkoholkonsum.« Trotzdem gab er zu bedenken, dass der Staat jährlich 3,3 Milliarden Euro Steuern durch Alkohol einnimmt. Polizeidirektor Helmut Biegi verwies in dem Zusammenhang auch auf die Entwicklung, dass Alkohol mittlerweile rund um die Uhr verfügbar ist. Und dass zwar Polizeikontrollen helfen, aber vor allem die Eltern als Verantwortliche gefordert sind.

Eine zuweilen auch »scheinheilige Diskussion« beklagte Ordnungsdezernent Dieter Wenzel in der Diskussion. »Wir trinken alle ganz gerne und auch mal über den Durst, und wir müssen lernen, damit umzugehen.«

Einen ähnlichen Ansatz verfolgte auch Peter Hoffmann – allerdings als Teil des Duos »Kabbaratz« etwas zugespitzter: Er riet, Jugendlichen das Trinken besser beizubringen, statt es zu verteufeln. Man könne ja langsam mit Wein und Bier anfangen. Und so ein ordentlicher Kater könne viel mehr über Alkoholmissbrauch vermitteln als alle Eltern und Lehrer zusammen. »Alkohol, in Maßen genossen, kann auch in größeren Mengen nicht schädlich sein.«